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AutorenbildCandid Pfister

«Nahm sie das Handy in die Hand, war sie dem Terror ausgesetzt»

Cybermobbing bei Jugendlichen hat weiter zugenommen. Das zeigt die neue Ausgabe der James-Studie. Experten fordern deshalb mehr medienpädagogische Massnahmen und digitale Selbstvertdeidigung.


Der tragische Fall von Céline Pfister (13) hat 2017 die Schweiz aufgerüttelt. Der ehemalige Freund verlangte freizügige Bilder der Teenagerin, drohte ihr und setzte sie massiv unter Druck. Eines der Bilder verbreitete die Ex-Freundin des Jungen per Snapchat, wo es innert kürzester Zeit mehr als 500 Personen anschauen konnten. Céline wurde daraufhin heftigst beleidigt und bedroht. Einige Tage später nahm sie sich das Leben.


«Cybermobbing ist ein Riesenthema bei den Jugendlichen», sagt Nadya Pfister, die Mutter von Céline. Obwohl es jeden treffen könne, sei für sie und ihren Mann unverständlich, dass bis heute hinsichtlich Cybermobbing in der Schweiz wenig gemacht werde.


Knapp ein Drittel der Befragten wurde schon mal im Internet fertig gemacht


Dass Cybermobbing beschäftigt, zeigt auch die am Donnerstag veröffentlichte James-Studie.


Diese belegt, dass die Fälle von Cybermobbing seit 2016 stetig zunehmen. 29 Prozent der Befragten haben schon einmal erlebt, dass sie jemand im Internet fertigmachen wollte. Das ist der höchste Stand seit sechs Jahren. 


Weiter berichten etwas mehr als ein Drittel der Jugendlichen, dass mindestens einmal schon etwas Falsches oder Beleidigendes über sie in privaten Chats verbreitet worden sei. Im öffentlichen Internet passiert das mit rund 7 Prozent einem deutlich geringeren Teil der Befragten.


Von etwas mehr als einem Drittel der Heranwachsenden wurden schon Fotos oder Videos ohne deren Zustimmung online gestellt. Davon sagen wiederum 39%, dies habe sie gestört.


Warum Cybermobbing zugenommen hat, ist gemäss Lilian Suter,  Medienpsychologin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) nicht offensichtlich. Natürlich spiele die häufigere Internetnutzung eine Rolle. Je häufiger man sich im Internet bewege, desto grösser sei das Risiko für negative Erfahrungen, so die Co-Autorin der Studie.


Beleidigungen aus dem Alltag werden im Internet fortgesetzt


Jedoch könne man auch erkennen, dass die Anfeindungen oft im täglichen Leben beginnen, online aber fortgesetzt würden, erklärt Suter und macht ein Beispiel: «Wird ein Mädchen während der Schule gehänselt, dann kann es zu Hause schwer auf Abstand gehen, denn jedes Mal wenn es das Smartphone in die Hand nimmt, geht es mit den Beleidigungen weiter.»  Deshalb sei Cybermobbing bei Jugendlichen etwas, das nicht nur im Netz passiere, sondern meist gekoppelt ist an das reale Leben, sagt Suter: «On- und offline verschmelzen, Mobbing hat keine zeitlichen Grenzen mehr.»


Das war auch bei Céline so, bestätigt ihre Mutter: «Unsere Tochter konnte sich zwar physisch abgrenzen, doch sobald sie das Handy in die Hand nahm, war sie dem Terror erneut ausgesetzt.»


Anonyme Online-Welt erleichtert Angriffe


Warum Jugendliche im Netz mobben, dazu sind kaum repräsentative Studien veröffentlicht. Laut Suter seien die Jugendlichen Gruppendynamiken ausgesetzt und wollten Machtverhältnisse ausprobieren. So sucht man sich meist das leichteste Opfer in der Gruppe aus und hackt auf ihm rum, so Suter.


Das Problem sei nur, dass die anonyme Onlinewelt diese Angriffe verstärke, sagt Suter. Weil die Täter*innen den Reaktionen des Opfers nicht unmittelbar ausgesetzt seien, fallen meist die Hemmungen und es würden unkontrolliert noch verletzendere Worte gewählt, so Suter.


Die diesjährige Ausgabe der James-Studie kommt deshalb zum Schluss, dass es mehr medienpädagogische Massnahmen und digitale Selbstverteidigung für Jugendliche braucht. Suter sieht da alle Beteiligten in der Pflicht. Schulen müssten Cybermobbing präventiv angehen, Eltern oder andere Bezugspersonen müssen das Thema enttabuisieren und die Jugendlichen selbst müssten den Mut entwickeln für sich selbst, aber auch für andere einzustehen, bemerkt man dass jemand gemobbt wird, so Suter. 


Was im realen Leben verboten ist, gilt auch für die digitale Welt



Auch für die Pfisters ist «darüber reden» insbesondere seitens der Opfer einer der wichtigsten Punkte. Aber auch, dass Cybermobbing endllich als eigener Straftatbestand im Schweizer Strafgesetzbuch verankert wird, sagt Nadya Pfister. 


In der Schweiz existiert bis dato kein eigenständiger Gesetzesartikel zu Cybermobbing. Allerdings gilt: Was im realen Leben verboten ist, gilt auch für die digitale Welt. Zahlreiche Bestimmungen des Strafgesetzbuches, ermöglichen es deshalb, Täter*innen zur Rechenschaft zu ziehen. Etwa für Erpressung (Art. 156), üble Nachrede (Art. 173), Verleumdung (Art. 174), Beschimpfung (Art. 177), Drohung (Art. 180) oder Nötigung (Art. 181).


Und genau so, argumentierte der Bundesrat, als er eine entsprechende parlamentarische Initiative ablehnte: «Für betroffene Personen ist Cybermobbing unerträglich. Das Strafgesetzbuch (StGB) enthält bereits diverse Artikel, mit welchen Cybermobbing bestraft werden können.»


«Wir geben nicht auf», sagt Nadya Pfister, denn die Welt der Jugendlichen hat sich verändert, deshalb müsse sich auch das Gesetz endlich anpassen, fordert Pfister: «Es braucht härtere Strafen.» Unterstützung erhalten die Pfisters von der Nationalrätin Gabriela Suter (SP/AG), die das Anliegen erneut in der nationalrätlichen Rechtskommission einbringen wird.


Die Pfisters sind seit dem tragischen Vorfall aktiv, erzählen an Schulen über ihr Schicksal, betreuuen Schüler*innen bei Vertiefungs- oder Maturarbeiten zum Thema Cybermobbing und haben dafür den Verein «Celines Voice»  gegründet. Mit diesem Herzensprojekt wollen die Pfisters ihre Erfahrungen teilen und auf Cybermobbing aufmerksam machen – damit keine weitere Familie so etwas Sinnloses erfahren müsse.



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